Unsere letzten „Provisione del Tempo“ sind zwei Tage alt, deswegen wissen wir nicht genau, wie sich das Wetter weiterentwickelt, die Schweizer meinen, es müsste zumindest heute halten. Der Start von der Barone zur Tomeo ist trotzdem von mir mit etwas gemischten Gefühlen begleitet. Der Übergang ist technisch nicht ganz einfach, Schweizer Wanderskala blau-weiß, T4. Die Tomeo wollen wir erreichen, um hier das anrückende schlechte Wetter auszusitzen – die Hütte ist bewirtschaftet und bereits das letzte Mal, als wir hier waren, gab es etwas Gutes zu essen – ideal für einen Pausentag. Leichter Nieselregen verzögert den Aufbruch, um kurz nach acht folgen wir einem Schweizer Pärchen zur Bocchetta Campala (2322m). Sie biegen hier ab talwärts ab nach Fusio, wir steigen über große Blöcke noch 300 Meter zur ersten Höhe weiter auf, lediglich aus der Ferne begleitet von sieben männlichen Steinböcken, die ein älterer anführt.
Es folgt ein erster Abstieg über steile, volle Aufmerksamkeit fordernde Schrofen, eine erste Bachquerung. Der Himmel bleibt meistens grau, aber die schönen Platten, die es jetzt die nächsten 400m hoch geht (oben ein steiles Blockfeld) sind so schnell erledigt.
Oben, an der nächsten Höhe von 2550m stürzt sich der Weg dann steil ca. 500m über oben schwindelerregende Schrofen auf eine flachere Geländekurve. Unterwegs schmeißt eine Ziege noch einen faustgroßen Stein nach Cilli! Gottseidank knapp vorbei!! Die größten Herausforderungen des Tages sind damit geschafft – das habe ich mir trocken gewünscht. Nach einer kurzen Rast (Brot und das letzte Stück Käse aus Sonogno!) geht es nochmal 200 Höhenmeter hoch zum letzten Übergang vor der Tomeo. Wir schauen noch einmal zurück: durch diese steile Wand sind wir runtergegangen, kaum zu glauben!
Nicht ganz einfach und etwas mühselig dreht sich der Weg dann noch 400m runter, bis wir endlich, nach 8,5 Stunden vor der Hütte stehen. Wir sind trocken angekommen, es gibt sogar ein alkoholfreies Bier! Schnell wasche ich noch meine Klamotten durch…
Die Tomeo Hütte ist Teil der Alta Via Maggia. Sie gehört dem Patrizionato da Broglio, einer Vereinigung der ehemaligen Alpbesitzer der Gegend. Bewirtschaftet wird die Hütte von Freiwilligen, die ein oder zwei Wochen lang die Hütte am Laufen halten: kochen, Reservierungen annehmen, die Gäste betreuen, putzen. Ingesamt sind es über 100 Personen, die sich hier beteiligen, entweder unten im Tal bei den Einkäufen, oder hier oben bei den Wochendiensten. Die beiden hier sind schon 3 oder viermal hier oben gewesen. Scheint neben der Arbeit auch Spaß zu machen.
Hoch und runter geht es mit dem Hubschrauber, der wöchentlich die Einkäufe bringt. Die Hütte ist modern mit einer offenen Küche ausgestattet, das heiße Wasser der Duschen ist kostenlos (!) und wird mit Strom aus dem Kraftwerk Tomé (Wasser vom Lago Tomeo, die Staumauer ist etwa 50 Höhenmeter unter uns!) gespeist, 2050kW, 945m Fallhöhe. Außerdem ist es in der Hütte mit Massivholzdecken zusätzlich ungewohnt warm – etwa im Vergleich zu der eher rustikalen Barone gestern. Mit uns auf der Tomeo ist eine Schweizer Alleinwanderin, die hier ebenfalls das schlechte Wetter am Morgen aussitzt. Eine Schweizer Familie steigt am Morgen ab. Die ganze Nacht hat es direkt über uns gewittert, 4 – 5 Sekunden vom Blitz zum Donner. Dazu Unmengen Wasser, die auf das Dach prasseln. Eigentlich schön, trocken in einer warmen Hütte dem Wetter draußen zu lauschen.
Hier hat das jedoch einen Beigeschmack. Einen Blick über das Holzgeländer runter ins Tal zeigt die Spuren der Verwüstung eines Hochwasserereignisses in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni in den Tälern unter uns.
Nach tagelangem Regen kam es in dieser Nacht hier und vor allem im Val Bavona zu überraschenden und sehr schweren Verwüstungen, mit einigen Toten und bis heute Vermissten. Der Grund ist die ungewöhnliche Auffeuchtung durch die tagelangen Regenfälle. Das hat es auch früher schon gegeben. Neu ist das zusätzliche Nachlassen des Permafrosts mit der Folge von starken Murengängen. Verstärkt wird dieser negative Prozess durch die deutlich sichtbar geschädigten Bannwälder, zumindest manche Baumsorten.
Wir genießen den Pausentag, fragen Wirtin und Wirt aus, ich esse eine leckere Pasta Bolognese, wir treiben den Blog voran, relaxen! Und gerade im Moment – es ist 13.27 Uhr bricht die Sonne durch!!!
Hallo ihr beiden,
schön immer zu lesen, was Ihr so treibt. Tolle Geschichten und Bilder. Macht Lust auf mehr Berge!
Grüße aus dem heimatlichen Abholzgebiet Fritz-Salm-Str.
Gute Zeit und stabile Knochen
wünscht Simon
Hallo ihr Beiden,
ich habe den Eindruck dass die diesjährige Tour noch abenteuerlicher, und vielleicht auch noch mehr Herausforderung mit sich bringt wie die im letzten Jahr!
Ich freue mich sehr und bin stolz auf euch wie ihr das alles meistert, da ziehe ich wirklich meinen (nicht vorhandenen) Hut!!
Viel Glück und Aufmerksamkeit für die nächsten zwei Wochen, ich umarme euch!
Lilli
Ihr Lieben,
Danke für das Teilen all eurer Erlebnisse! Ich rieche zwischendurch förmlich feuchten Fels, bergige Grasflächen und den Holzgeruch der Hütten. Ihr macht das so super, wie ihr mit all den Herausforderungen umgeht ist einfach wunderbar zu lesen. Und so schön, durch die Fotos auch mit den Augen ein bisschen mitzuwandern! Weiterhin Toi toi toi…
Herzlich,
Bettina