25.07.2025 Vom Rifugio La Reggia zum Rifugio Monte Zeus

Die Wettervorhersage war schlecht. Den ganzen Tag über mit hoher Regen- bzw. Gewitterwahrscheinlichkeit. Deswegen sind wir schonmal gewappnet in Regenmontur gestartet – und dann nach und nach immer mehr Schichten auszuziehen. Wieder mal war glücklicherweise die Realität eine andere. Das war auch gut so: fast 20 Kilometer, 1200 m im Aufstieg und insgesamt 1900 m wieder runter. Gut, dass es nur wenig getröpfelt hat. Morgens war das Gras vom Regen in der Nacht allerdings noch sehr nass, die Regenhose machte also Sinn, um die Schuhe etwas trockener zu halten.

Fausto durfte noch etwas länger schlafen, wir machten uns aufgrund des frühen Aufbruchs (geplant 6.30, real dann 7.10Ur) das Frühstück selbst, am Abend hatte er mir alles gezeigt. Alles herrlich unkompliziert in den Bergen – für eine Bekanntschaft von erst ein paar Stunden!!Grazie!

Voll equipped sind wir also von der Hütte weg, erst durchs Gras, dann etwas betonierte Zufahrtstrasse zu einer ersten Alp. Danach aber entwickelt sich der Übergang aus dem Tessin nach Italien, den wir heute vorhaben, zu einer wunderbaren, einsamen Wanderung. Oft im leichteren T2 Gelände zieht der schmale Weg über weichen Waldboden, kontinuierlich leichtansteigend das wilde Bachtal des Ri di Magnello, bzw. den Rio de la Stufa hoch. Von überall kommt noch das Wassers von gestern herunter, das macht das mehrmals nötige Überqueren interessant.

Bei der Alp di Magnello, noch im Tessin, aus der Ferne sehen wir den Hirten, lesen wir eine erste Info über diese Region in der Kriegszeit. Hier, noch kurz vor der italienischen Grenze, kam es durch die Kämpfe der Partisanen gegen die Nazis und deren Säuberungsaktionen zu einer besonderen Situation: der Grenzverlauf, der aufgrund einer Regelung des US-Botschfters George Perkins March in der Folge des 1. Weltkriegs nicht entlang eines markanten Geländeprofils verlief, machte es den Deutschen schwierig, die Partisanen zu verfolgen. Streng achteten die Schweizer auf die Nichtverletzung der Grenze. Auslieferungsanträge durch die vorrückenden Deutschen Truppen wurden abgelehnt. Dadurch entstanden Rückzugsräume für die Partisanen, Lebensmittel erreichten die Kämpfenden. Auf dem Bild sieht man Schweizer Offiziere, die vor Partisanen mit diesen am Tisch sitzen. Sympathie also durchaus vorhanden. Spannend, Geschichte mitten im Wald! Bei Interesse, siehe dazu die Übersetzung einer weiteren Bildtafel, die wir an der Alpe Stufa, also schon in Italien, einem letzten Rückzugsort der Partisanen fanden! (Ganz unten).

Wir jedenfalls passieren die Grenze und steigen aus dem Wald allmählich in das weite Alpgelände Cravaviogla mit vielen Kuhherden auf. Wir halten ein bischen Abstand, ein paar kleinere Jungtiere liegen dazwischen rum. Irgendwo da oben ist der höchste Punkt heute der Passo della Fria mit 2499 m, noch ist nicht ganz klar, wie sich der Verlauf entwickelt. Oben angekommen pfeift es wie so oft kalt, wir müssen über eine etwas tiefergehende zweite Bocchetta.

Unterwegs laufen wir hier übrigens Teilstrecken des Sentiero Italia (SI) und des GTA, der Grande Traversata Alpin. An der Bocchetta sind es noch 1500m Abstieg bis zu unserer Unterkunft in der Nähe des Ortes Baceno – bis hier sind wir aber schon 6 Stunden unterwegs! Klar, das wird also hart. Der Weg ist aber ganz gut angelegt und befestigt, lediglich die letzten 700 Höhenmeter fallen steil durch den Wald nach unten. Um 16:45 Uhr kommen wir mit  einsetzendem leichten Regen im Rifugio im kleinen Weiler Crego an!!! Super!

Cravariola
Land der Unverwüstlichkeit, Saat des Widerstands

Die Weiden und Almen des Cravariola-Tals waren jahrhundertelang zwischen Italien und der Schweiz umstritten, obwohl das Volk der Ossola lange Zeit die Grenzen dieses abgelegenen Tals durchquerte und eine Trennlinie zu einem grenzüberschreitenden Treffpunkt machte. Nach einem internationalen Schiedsverfahren mit einer endgültigen Entscheidung des US-Botschafters George Perkins Marsh wurde das Cravariola 1874 endgültig in die italienischen Grenzen einbezogen. Während der deutschen Besetzung Italiens wurde Cravariola zu einem Zufluchts- und Organisationsort für Partisanen. Zwischen dem 17. und 20. Juli 1944 wurden die Almen von den Nazis in einer gewalttätigen Razzia verwüstet, bei der es zu Kämpfen, Bränden und der Zerstörung von Hütten und Häusern kam. Mehrere Älpler wurden in die Konzentrationslager der Nazis deportiert, andere konnten sich zusammen mit den überlebenden Partisanen in die Schweiz retten.

Zu den ersten Partisanengruppen, die im Ossola entstanden, um Flüchtlinge in die Schweiz zu begleiten, gehörte eine Gruppe unter der Führung von Pietro Carlo Viglio aus Novara und Claudio Castelli aus Masera. Die Formation ließ sich zunächst im Vigezzo-Tal nieder, kam aber später in das sicherere Cravariola-Tal und besetzte die Hütten und Häuser der Alpe Stufa.

Ab dem Frühjahr 1944 wuchs die Gruppe mit der Ankunft von immer mehr jungen Leuten, meist faschistische Wehrdienstverweigerer aus Ossola, Studenten oder alteingesessene Spalloni, an, obwohl die Lebensbedingungen im Cravariola-Tal hart und prekär waren. Die Formation organisierte zahlreiche Aktionen gegen die nazifaschistischen Garnisonen im Antigorio-Tal und musste im Juli 1944 die Razzia über sich ergehen lassen. Im September nahmen die Partisanen von Cravariola an der Befreiung der Ossola teil, aus der die Partisanenrepublik hervorging. Aus der anfänglich kleinen Gruppe wird die 8. Brigade Matteotti. Im April 1945 nahm die Brigade an der endgültigen Befreiung der Ossola teil und gehörte zu den ersten, die in Mailand einmarschierten. Sie begleiteten Antonio Greppi, den ersten Bürgermeister der Stadt nach dem Fall des Faschismus, und übernahmen das Rathaus.

„Unsere Kleidung ist zerrissen, aber in der Gegend gibt es nichts, was sie ersetzen könnte. Es ist zwar Juli, aber es ist sehr kalt. Trotz allem müssen wir wieder in die Dörfer hinuntergehen, um Lebensmittel und Medikamente zu besorgen. […) Wir müssen die Kranken und Verwundeten in die Schweiz schicken, weil wir nicht die Mittel haben, sie ausreichend zu behandeln und zu versorgen. Endlich trifft die lange angekündigte Razzia ein….

Aus dem Historischen Tagebuch der 8. Matteotti-Brigade, Juli 1944

 

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AutorIn
Günter Bergmann

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