„Berge in Bewegung“

In einem Podcastinterview der Jugend des DAV mit dem DAV Präsidenten Roland Stierle wird der am Ende nach einem Gipfelbucheintrag gefragt.
„Ich bin kein wirklich guter Gipfelbuch(ein)träger. Ich hab viele Sprüche gelesen, aber ich würde es vielleicht mal so sagen: der jetzt oder der gerade erreichte Gipfel, der ist herrlich. Aber vielleicht das Schönste hier oben ist der Blick auf die noch vor uns liegenden Wege und Gipfel. Der Blick in die Zukunft. Und lass uns diesen Weg doch gemeinsam gestalten.“
Wir selbst kennen dieses Gefühl auch. Daraus entsteht auch für uns der Drang nach dem nächsten Berg, dem Morgen.

Aber Roland Stierles Gipfelbucheintrag beschreibt auch gut das Gefühl, mit dem für uns die DAV Tagung „Berge in Bewegung“ (26. und27.09.) in Leipzig zu Ende geht: viele noch vor uns liegende dringende Wege!
Seine Eröffnungsrede begann verheißungsvoll: gleich zu Beginn hat uns Roland Stierle mitten in das Problem hinein gestoßen, eine Umwelt und Gesellschaft, die komplett auf den Verbrauch von Öl und fossilen Brennstoffen abgestimmt und von ihr durchdrungen ist, von den Bezügen der Sessel auf den wir hier im Tagungshotel sitzen bis hin zu den Mikropartikeln aus Öl basiertem Plastik, die inzwischen durch unsere Adern fließen. Wow, was für ein Beginn!
Auch die folgenden Key Notes und inhaltlichen Auftakte ließen keinen Zweifel daran, dass die Klimakrise in ihrer Bedeutung im Alpenverein voll angekommen ist. Hier leugnet niemand die menschengemachten Ursachen. Oder die Risiken der drohenden Kipppunkte.


Zunächst gab Professor Dr. Jürgen Kropp vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung einen kurzen, aber vertieften Einblick in Erwärmung der Erde, die vor allem auch Mittel- und Südeuropa, hier besonders den Alpenraum trifft. 1,6°C Erwärmung ist bereits längst überschritten, geht die Entwicklung so weiter, dann steuern wir in diesen Regionen auf eine Steigerung auf 2,5° oder mehr zu. Bereits jetzt verschwinden die Gletscher, Bergstürze infolge des tauenden Permafrosts über 2500m Höhe, Murengänge durch Starkregen unten im Tal, lange verharrende Starkregengebiete aufgrund von weltweiten Verschiebungen in der Großwetterlage, Aufheizen der Weltmeere. Jürgen Kropp zeigte alle diese Entwicklungen sehr klar auf, wies auf die globalen Zusammenhänge hin, die natürlich auch die Situation in den Bergen bestimmen.


Prof. Dr. Andreas Matzarakis von der Uni Freiburg führte uns zu den medizinischen Folgen der Klimakrise und der Überhitzung – in den Bergen und in den Städten. Steigende und lang anhaltende Temperaturen führen zu Immer mehr Hitzetoten. Die starke UV – Belastung erhöht das Risiko für Hautkrebs.


Prof. Dr. Michael Krautblatter, TU München berichtet über die Möglichkeiten der Analyse, des Monitorings und der Frühwarnung von Hangbewegungen. Es ist sehr beeindruckend, wie mittlerweile z.B. das Abtauen des Permafrostes in der Zugspitze gemessen und verfolgt werden kann.
In der anschließenden Podiumsdiskussion zwischen Roland Stierle, Martin Fleischer aus dem Vorstand der Versicherungskammer Bayern und Claudia Reiser, Wissenschaftsjournalistin und MDR-Redakteurin und im ARD-Kompetenzteam Klimawandel bleibt Folgendes hängen: eine allumfassende Versicherung gegen die Folgen der Klimakrise ist letztendlich nicht möglich. Infolge der zunehmenden Häufigkeit und der zunehmenden Stärke der Ereignisse ist vor allem Selbstverantwortung gefragt. Maßnahmen konzentrieren sich auf Frühwarnsysteme, die helfen können, Schäden begrenzter zu halten. Letztlich ist es jedoch die Natur, die sich gegen alle noch so massiven Verbauungen durchsetzen wird.

Frau Reiser brachte dankenswerterweise den über der Veranstaltung schwebenden Konflikt auf den Punkt: wieviel ist durch freiwillige Selbstbeschränkung und einsichtiges Verhalten des Einzelnen tatsächlich zu erreichen, ohne die fehlenden, bei weitem schwerer wiegenden strukturellen Maßnahmen staatlicherseits.
Im Publikum wäre – unser Eindruck – gerne darüber weiter diskutiert worden!
Stattdessen ging es in der Choreographie des folgenden Workshoptags lediglich um sicher sehr wichtige Dinge, wie Bedeutung für die Wege und Hütten, wie und wo wird in Zukunft geklettert etc. Dass die Hüttenstruktur in Zukunft infolge Wassermangels so nicht mehr aufrechterhalten werden kann, manche Wege durch andere ersetzt werden müssen. Es deshalb zu einem Zurück zum Einfachen kommen muss. Keine Duschen mehr, Eintopf als Bergsteigeressen! Kein weiterer Ausbau des Bergtourismus. Auch Hüttenrückbau ist kein Tabu mehr. Alles Dinge, die uns einleuchten, die wir so komplett unterschreiben können.


Auf die globale Klimakrise, die ja nicht am Alpenrand entsteht oder hier haltmacht, kann das aber für den Mitgliederstarken DAV alleine nicht die Antwort sein. Bleibt es die alleinige Antwort, dann bleibt der DAV weit hinter unseren inhaltlichen Erwartungen an einen bedeutenden Sport- und vor allem Umweltverein zurück.
Immer wieder blitzt zwischendrin in vielen Diskussionen von manchen die Befürchtung vor dem drohenden moralischen Zeigefinger auf.
Wir selbst können auch nicht viel damit anfangen, wenn uns einer mit einem erhobenen Zeigefinger kommt. Wir möchten so auch nicht erscheinen.
Aber wenn wir die Klimakrise perspektivisch jetzt umlenken wollen – auch in dem Bewusstsein, das das allenfalls den JDAV, also die Kinder und Enkel noch erreicht, dann braucht es im DAV jetzt den Anstoß!
Tempolimit, Ausbau der Erneuerbaren, keine Investition in Fossile Energien, andere Ernährung, dabei ist es Wurst, wie die Wurst genannt wird, Ideen zu Degrowth statt weiteren Wachstumwahn, Verbot von Plastik, Umverteilung (der stärkste CO2 Verbrauch kommt von den Reichen), Klimagerechtigkeit– zu all diesen Themen sollte der DAV etwas sagen können.
Oder mindestens sie bei „Berge in Bewegung“ mit bedenken.

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AutorIn
Günter Bergmann

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