26.07. Vom Rifugio Kostner zum Rifugio des Alpes

Der Morgen an der Kostnerhütte beginnt vor dem Frühstück mit sensationellen Bildern vom Sonnenaufgang und der Marmolada.

Die Überschreitung des 3152m hohen Piz Boè, direkt der Marmolada gegenüber gelegen, ist sicherlich von der Höhe, der relativen Ausgesetztheit und der technischen Schwierigkeit (wir sind uns etwas uneins, eine stellenweise T4- könnte ein Kompromiss sein) für einige unter uns mindestens ein Highlight dieser Tour durch die Dolomiten. Ein kurzer Anweg von der Hütte aus bringt und in ein steiles Schuttkar, bald beginnen wir auf dem Weg in kompaktem Fels zu steigen. An kniffligen Stellen gibt es ausreichend Stahlseile zur Unterstützung. Immer weiter drehen wir uns hoch, immerhin sind es noch insgesamt 650 Höhenmeter bis zum Gipfel. Ich merke heute die Höhe, bin aber auch immer noch erkältet. Zwischendurch queren wir ein sehr ausgesetztes Felsband, mit sicherlich 80m Luft darunter. Aber das Band ist breit, alle kommen gut damit klar. Nach einem weiteren Steilanstieg durch etwas Schutt kommen wir auf einen schön freiliegenden Grat, der uns Richtung Gipfel führt. Noch ein paar Höhenmeter, wir sind oben. Eine grandiose Aussicht! Wir sind am höchsten Punkt unserer Wanderung! Auf dem Gipfel befindet sich seit 1969 eine kleine, im Sommer bewirtschaftete Schutzhütte. Im Jahre 1974 wurde ein weithin sichtbarer Telefonreflektor errichtet. Das Gipfelkreuz mit Madonna ist dagegen sehr klein. Manko des Piz Boè (davor hatte uns der Hüttenwart der Kostner Hütte gewarnt) ist sicherlich, dass von der anderen Seite, vom Pordoipass, mit der Seilbahn zwar nicht ganz hoch, aber doch leider zu hoch, ziemliche Massen gekarrt werden. So ist hier oben an der Spitze ein großes Gedrängel. Wir machen ein paar Fotos, klettern dann auf einen Kaffee und Apfelstrudel durch eine schuttige, Steinschlag gefährdete Rinne zum Rifugio Boè ab. Es ist fast zu heiß, sich hier allzulange aufzuhalten, der Planet brennt herunter. Gleich hinter der Hütte verlieren sich die Menschenmassen wieder – der Weg zum Lift ist Gottseidank wohl zu weit. Wir ziehen also einigermaßen einsam über eine Art skurrile Mondlandschaft, eine riesige, vorher ungesehene steinige Ebene, fast wüstenartig, durch die wir wie die Ameisen hindurch krabbeln. Nach ein, zwei Kilometern gelangen wir so an den Punkt, an dem sich der Weg endlich Richtung Tal stürzt. Mehrere Hundert Meter kämpfen wir uns steil über Absätze bis wir endlich an das erste Stückchen Grün seit gestern Nachmittag kommen. Für eine Pause, um etwas zu essen und um den Knien etwas Zeit zu geben, sinken wir an einem riesigen, irgendwann abgebrochenen Trumm von Fels ins Gras. Wir sind umgeben von steilen, mehrere hundert Meter aufragenden Felswänden. Unser weiterer Abstieg führt dazwischen immer weiter herunter, Richtung Sella Passstraße. Um nochmal etwas Kraft zu tanken und den Knien etwas Zeit zu geben, springen wir an einem Wasserfall mit Becken in den begleitenden Bach, aber nur ganz, ganz kurz – und längst nicht alle von uns! Der Weiterweg führt uns ab- und wieder aufsteigend, mehrmals die Sellapaßstrasse schneidend, jetzt zum Ende des Tages etwas nervig durchs Gebüsch und durch trockene Bachrinnen zum Sellapass. Leicht stöhnend erkennen wir nach diesem heftigen und technisch schwierigen Tag, das wir nach dem Einbiegen auf den Friederich-August Weg nochmal 200m hoch müssen. Alle kämpfen sich die – typisch – Skipiste hoch zum Rifugio Des Alpes. Das Refugio liegt direkt neben dem Lift, der im Winter von Campitello die Massen hier hochbringt. Zwischen Lift und Refugio liegt eine riesige Baustelle, die Arbeiter haben grade Feierabend gemacht und trinken am Tisch neben uns ihr Bier. Unmassen von Stahlbewehrungen und Betonschalungen. Später erzählt uns der Wirt, die neue Bahn würde eine Kapazität von 2100 Personen pro Stunde haben, derzeit wird die Hälfte befördert. Ein Umdenken ist hier leider nicht in Sicht! Dumm. Motto: Klimawandel, was ist das? Ein bisschen wie Lemminge, die sich kollektiv über eine Kante stürzen.

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AutorIn
Günter Bergmann

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