Wir verlassen, die Capanna Cava relativ gemütlich um viertel vor 9. Der ausstehende Aufstieg ist recht überschaubar, rund 150 Höhenmeter sind es bis zu dem über uns liegenden Pass. Von hier allerdings liegen fast 2000 Höhenmeter runter nach Biasca vor uns! Winzige Ameisenautos flitzen über die Autobahn vom Gotthard Richtung Süden oder umgekehrt, das andere Tal führt hoch zum Lukmanierpass. Selbst die Steinbrüche gegenüber wirken von hier oben klein. Die ersten 400m sind wieder steil, Felsen mit Gras brauchen ständige Aufmerksamkeit. Ein Team Wegbauer richtet Schilder, mäht den Weg. Ein steiles Waldstück dreht uns herunter bis auf eine schöne, kesselartig gelegene Alm. Vor fast jeder der verstreuten Hütten sitzt eine einzelne Person und winkt uns zu. Auffällig ist der kaputte Bannwald auf einer Seite oberhalb, für die Hüttchen nicht ungefährlich! Im Wechsel zwischen dem Fahrweg ab hier, Abkürzungen durch steile Wiesenstücke, kurze Sitzpausen, wieder Wasser fassen, ein paar Nüsse, dann unten noch ein Stück Kastanienwald – Biasca, auf 300 m Meereshöhe ist erreicht.
Morgen geht es auf der anderen Seite Richtung Via Alta Verzasca wieder fast 2000m hoch zur Capanna Efra. Der Ticino bildet einfach einen tiefen Einschnitt, über den wir bei unserer Durchquerung drüber müssen. Unten wieder Szenenwechsel: unser Hotel liegt in der Stadt, unten treibt der Verkehr hin und her. Eine geteilte Pizza, ein geteilter gemischter Salat, ein Bier (für jede und jeden eins!), Duschen, ein bisschen Blog nachholen……18:10 Uhr, Feierabend!
Und hier noch was für Interessierte:
Hexenverfolgungen in der Riviera
Insgesamt wurden in Europa im Zuge der Hexenverfolgung geschätzt 40.000 bis 60.000 Personen wegen Hexerei hingerichtet. Frauen stellten in Europa etwa fünf von sechs Opfern.
Hier in der Riviera, also dem Talabschnitt des Flusses Ticino, das sich im Kanton Tessin von Biasca bis nach Bellinzona ca. 15 Kilometer erstreckt, nehmen die Hexenverfolgungen einen bedeutenden Platz ein. Besonders im 15. und 16. Jahrhundert wütete der Hexenwahn mit extremer Härte, wie kaum anderswo in der Schweiz.
Ab dem 15. Jahrhundert trug die Kleine Eiszeit in Europa zur Verunsicherung der Menschen bei, verursachte die spätmittelalterliche Agrarkrise, Inflation und Hungersnöte. Extremwetterereignisse und Seuchen wie der Schwarze Tod (1347–1353) verstärkten die Not. Angesichts des Massensterbens wuchs die Kritik an der Kirche, die nicht genügend Antworten bot. Mit der Reformation ab 1517 wurde der Alleinvertretungsanspruch der Kirche infrage gestellt. Auch Kriege, wie der Dreißigjährige Krieg (1618–1648), verstärkten die Unsicherheit und führten zu einer Zunahme der Hexenprozesse. Diese Krisen lösten eine psychische Erschütterung und Ängste aus, die sich in Hexenverfolgungen und Massenhysterien äußerten, oft sogar gegen die Obrigkeit und Kirchen.
Ursprünglich zielte die Verfolgung auf Gegner der Kirche – Reformierte und „Irrgläubige“. Später verschmolzen religiöse und volkstümliche Vorstellungen, was zu einer allgemeinen Hexenverfolgung führte. Die Kirche, insbesondere ihre lokale Geistlichkeit, spielte dabei eine zentrale Rolle, auch wenn sie versuchte, sich von manchen Auswüchsen zu distanzieren. Die ausführenden Henker und Folterer besaßen die besondere Kenntnis vom menschlichen Körper, diesen eben nicht zu früh sterben zu lassen. Der Terror erreichte seinen Höhepunkt nach dem Tod des Kardinals Carlo Borromeo, der selbst mit Eifer gegen Hexen vorging.
Besonders grausam war das Wirken der Inquisition, die 1575 durch das Volk selbst ins Land gerufen wurde. Viele Menschen wurden unter Folter zu Geständnissen gezwungen, darunter auch Kinder. Prozesse fanden in großer Zahl statt, oft mit tödlichem Ausgang. Ganze Dörfer litten, wie etwa der Ort Loderio, hier ein paar Kilometer nördlich von Biasca wurden alleine 10 Personen angeklagt
Nicht nur die Kirche, sondern auch weltliche Behörden profitierten vom neuen Gerichtsverfahren. Konfiskationen waren üblich, selbst Freigesprochene verloren ihr Vermögen. So wurde 1639 ein Mann zwar freigesprochen, musste aber Gerichtskosten in Höhe seines gesamten Besitzes tragen und verließ das Gefängnis als Krüppel und Bettler.
Einzelne Geistliche wie der Pfarrer Buglio widersprachen später dem Hexenwahn, doch erst ab Mitte des 17. Jahrhunderts nahmen die Prozesse ab. Der letzte bekannte Fall im Tessin datiert von 1742.
Die Schuld für die Verfolgungen liegt nicht allein bei den Landvögten oder der Kirche. Auch das Volk selbst, durch Pest, Angst und religiösen Fanatismus geprägt, trug seinen Teil zu diesem dunklen Kapitel bei.
Die Bündelung von Krisenerscheinungen ging für viele mit einer massenhaften psychischen Erschütterung des Weltbildes und dem Verlust sicher geglaubter Wahrheiten einher und konnte sich bis zur Erwartung der nahen Apokalypse steigern. Die Suche nach Sündenböcken stellt in solchen existentiellen Notsituationen eine anthropologische Konstante dar. Hexenverfolgungen waren demnach Ausdruck weit verbreiteter Ängste und Massenhysterien.
Möglicherweise stecken Ängste auch hinter Begriffen wie Umvolkung, Messerstecher und Kopftuchmädchen. Oder die Begriffe erzeugen erst die Ängste. Unsere Gesellschaft ist wieder verstärkt anfällig für Populismus, Stigmatisierung der „Anderen“, Hass und einfache „Lösungen“. Alle Rechtsradikale Politik baut darauf auf.
Dagegen hilft (außer einem Parteienverbot!) nur das Hochhalten universeller Menschenrechte. Mit Menschenrechten hätte es keine „Hexen“ gegeben. Keine Menschenverachtung und Entrechtung zulassen! Nie!