Das Albergo Selva ist sehr schön gelegen in einem kleinen Weiler mit weitem Blick über das Val Poschiavo. Auf der ehemaligen Alpe steht auch ein kleines Kirchlein mit einer besonderen Geschichte, hier ein kleiner Exkurs:
Glaubensflüchtlinge und konfessionelle Spannungen im Puschlav
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts siedelten sich zunehmend italienische Glaubensflüchtlinge im bereits mehrheitlich reformierten Puschlav an. 1547 gründeten sie eine protestantische Gemeinde, da Graubünden die freie Religionsausübung garantierte.
Mit der Gegenreformation verschärfte sich die Lage: Am 21. Juli 1620 erreichte der sogenannte Veltliner Mord angeführt von Giacomo Robustelli, den Ort Brusio. Dort wurden reformierte Häuser zerstört und Protestanten ermordet. 1622 untersagte eine päpstliche Bulle den Reformierten den Gottesdienst, ihr Pfarrer Jakob Rampa musste das Tal verlassen. Im Folgejahr verübten Soldaten im „Sacro Macello poschiavino“ ein Massaker an flüchtenden Reformierten, bei dem über zwanzig Menschen getötet wurden.
Erst 1642 erlaubte ein Schiedsentscheid der Drei Bünde den Reformierten die Rückkehr und den Bau eigener Kirchen. 1676 wurde das reformierte Kirchlein in Selva errichtet. In der engen Gemeinde prägten die konfessionellen Spannungen zwischen den Familien jedoch das Tal bis ins 20. Jahrhundert – zeitweise war sogar vom „Nordirland der Schweiz“ die Rede.
Wir haben hier jedoch völlig spannungsfrei übernachtet, allenfalls mit Vorspannung auf den heutigen Tag.
Jacob ist der Wirt von Selva, das sich als ganz gute Unterkunft herausgestellte. Er ist mit dem Gebiet als Skyracer gut vertraut, verbesserte uns nochmal unsere Routenwahl zum Rifugio Bignami.
Wir traten also bei bestem Wetter den Weg zum Pass da Canfinal an – ein klassischer Pass, gut zum Akklimatisieren. Schön geht es nach oben, aus einer Almhütte springen plötzlich zwei Bordercollies raus, ebenso lernen wir den Schafhirten Johannes kennen. Er kommt aus Cottbus, ist jetzt schon den vierten Sommer hier oben, diesmal zum ersten Mal voll und alleine verantwortlich für über 500 Schafe. Als Schutz gegen die Wölfe sind drei große weiße Herdenschutzhunde zuständig. Wir verabschieden uns nach diesem netten informativen Plausch. Ziehen weiter.
Oben am Pass tropft es ein bisschen, deshalb bleibt die Pause kurz. Drüben sehen wir auch bereits die Hütte Bignami, können uns also ausrechnen, ca. um vier Uhr bereits da zu sein. Vor allem da wir im Tal unten bereits den vermeintlichen Gegenanstieg deutlich vor uns sehen. Einige Brücken und Stege führen über ein Delta von reißenden wilden Abflüssen des mittlerweile stark geschmolzenen Fellaria Gletschers. Das sah auch ganz gut aus – bis wir feststellen, das die allerletzte Brücke fehlte. Mindestens eine Stunde versuchten wir, den Fluß zu überqueren, einer von uns landete dabei sogar bis zur Hüfte im Bach.
Ziemlich genervt erkannten wir, das wir hier nicht weiterkommen. Tatsächlich müssen wir um den ganzen – aus dem zurückgehenden Fellaria Gletscher gespeisten – Stausee herumgehen. Erst auf der Staumauer findet sich der Hinweis, dass der Weg zur Bignami über die Abflüsse des Fellariagletschers nicht begehbar sind.
Ingesamt haben wir so mehr als 2 Stunden verloren, mit zusätzlichem Auf- und Ab kamen wir schließlich um viertel vor 7 auf der Bignamihütte erst an. Dieser 1. Tag wurde also durch das reißende Wasser für die Neuen zu einer sehr anspruchsvollen Eingehtour. Kurzwäsche, dann schnell an den Tisch, Polenta mit Forelle. Ein, zwei Bier, oder Vino Rosso stellen uns wieder fast her. Trotzdem fallen wir müde ins Bett.